Erinnerungen an Walter Oscar Grob
Erste Begegnung
Als ich mit vierzehn Jahren zum ersten Mal die Freie Kunstschule
besuchte, begeisterte mich zuallererst die Atmosphäre in Walter Grobs
Atelier. Vollgestopft mit Malutensilien, die Wände mit Reiseandenken,
Bildern und Zeichnungen geschmückt, ein intensiver Duft nach Farbe und
Lack in der Luft, entsprach die grosse Mansarde an der Bederstrasse
genau dem Bild, das die Künstlerbiografien aus der Schulbibliothek
vermittelten. Bald schon beeindruckte mich die Ernsthaftigkeit, mit der
Walter Grob seinen Studien nachging. Seine ersten Bücher waren damals
fast ausschliesslich handgefertigte Einzelstücke, deren Entstehung wir
Mittwochnachmittag-Schüler vom Entwurf bis zum Druck mitverfolgen
konnten.
Mal-Rhythmus
Während der Schulsemester malte Walter Grob wenig, sondern überlegte
sich mit Hilfe von Skizzen, was er in den Sommerferien zu Bilde bringen
wollte. Jeweils im Juli reiste er an einen Ort mit spezieller
Ausstrahlung, um dann konzentriert etwa sechs grosse Bilder und viele
Tuschezeichnungen zu malen. Auf seine neuen Werke war ich immer
sehr gespannt, da sie wenig denen des Vorjahres glichen, sondern den
künstlerischen Fortschritt des aktuellen Jahres festhielten.
Aktzeichnen
Als pubertierender Jugendlicher hätte ich damals gerne den
Kurs "Aktzeichnen" besucht, was mir Herr Grob allerdings mit Hinweis auf mein
zartes Alter verwehrte. So musste ich mich weiterhin mit den fertigen
Zeichnungen der älteren
Schüler begnügen, die jeweils nach deren Kurs die Wände zierten.
Studienreisen
Unvergesslich bleiben die Studienreisen nach Rom und
Venedig. Von frühmorgens bis spätabends
führte uns Walter Grob durch unzählige Kirchen und
Museen, von denen einige nur für unsere Gruppe die Türen
öffneten. Wenn zwischendurch mal eine Reservation nicht
klappte, konnte sich der Künstler sehr schweizerisch
aufregen; ebenso missbilligte er, wenn in der südlichen
Wärme jemand ein Gelato der x-ten Kirchenbesichtigung
vorzog. Ich glaube nicht, dass so eine geballte Ladung
Kunstunterricht heute noch irgendwo zu buchen ist.
Selbstbewusstsein
Erst als Erwachsener konnte ich mir Bilder von Walter
Oscar Grob leisten; sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein
verbot es ihm, seine Werke unter dem Wert zu verkaufen,
den er selber für angemessen hielt; da verzichtete er
lieber.
Der teure Kauf hat sich trotzdem
gelohnt; Grobs Bilder sind Meisterwerke.
Vision
Schon über siebzig Jahre alt, kaufte sich Walter Grob
einen Personal Computer. Sein Traum war, die
Durchschauende Kunstuntersuchung als
Software-Programm anzubieten. Er wusste, dass die
Methode sich nur durchsetzen konnte, wenn die
Knochenarbeit, das mühselige Analysieren aller
Bildelemente, von einer Maschine erledigt würde und der
Mensch sich auf die Würdigung der Ergebnisse
konzentrierte. In den 90er-Jahren musste dieser Traum
aus hardware- und software-technischen Gründen noch ein
Traum bleiben; erst heute ist das Vorhaben in den
Bereich des Möglichen gerückt, der Schöpfer der
Durchschauenden Kunstuntersuchung
allerdings tot.
Melancholie
Nach der gemeinsamen Beschäftigung mit dem Computer lud
mich Walter Grob manchmal ein, sein
Spezial-Birchermüesli mit ihm zu teilen. Es waren
schöne, ruhige Momente, in denen er von seinen Projekten
erzählte und auch von den Sorgen, die ihm der
Schülerschwund und das geringer gewordene Interesse an
seinen Veranstaltungen machten. Zur Aufmunterung lud
ich ihn einmal in ein chinesisches Restaurant ein, wo er
mich fragte: "Warum machen Sie das?"
Walter Oscar Grobs Bilder
zeigen allerdings keine Spur von Schwermut oder
Resignation, sondern strahlen die Zuversicht derer aus,
die ihn stark beeinflusst hatten: Kunstmaler Ernst
Wehrli und die Philosophen R.M. Holzapfel und Jean
Gebser.
Tod
Im August 2000 erfuhren wir, dass Walter Oscar Grob in
den Fluten des griechischen Mittelmeers ertrunken war.
Sämtliche Habseligkeiten inkl. Kleingeld im Portemonnaie
wurden in der Folge aus Griechenland in die Schweiz
zurückgeschickt. Seine dort gemalten Bilder allerdings –
der Zweck der Reise – sind bis heute verschollen
geblieben.
Werner Krapf, Verein Walter Oscar
Grob, Dezember 2008
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